Januar 2009, Stuttgart, Deutschland
|
Ein regnerischer, stürmischer Tag war es heute. Und jetzt begegnen wir – hier in der Galerie El Pacifico – den Werken des mexikanischen Künstler Filiberto Montesinos.
Fast überall, in jedem Raum, schauen uns Blumen von der Wand an. meist voll erblüht. herangezoomt im Ausschnitt, wie wenn eine Biene sich Pollen und Nektar holt, angelockt von der Blüte, bereit sich niederzulassen und vollzusaugen. Ein Ozean von Farben, von Bewegung in den Formen der einzelnen Blüten.
Ein Blumenmaler. Stillleben also? Ist das nicht von Vorgestern? Aber freilich, das Ganze ist modern gesehen, erinnert an Popartiges, an Surreales. Was losen diese Blumenbilder in uns aus? Was will der Künstler damit sagen?
Der Betrachter kann sich hineinversenken, fallenlassen in die faszinierenden Windungen eines Blütenkelchs, in die Schichten der Blütenblätter und ihrer Bewegung, ihres Schwungs. ihrer Farbigkeit. Manches Bild ist pastellig. häufig in Grün- und Violetttönen, in anderen dominiert eine kräftige Farbigkeít, ein sattes Rot, oder wie der Titel eines der Werke sagt, ein ,,Traum von Magenta”. Manche Blüte ist voller Saft und Kraft, Stärke und Energie, ja sogar erotische Assoziationen tauchen in uns auf.
,,Lasst Blumen sprechen”. heißt es – nicht nur – im Deutschen. Und wir benutzen sie, die Blumen. vor allem auch die Rose, um Gefühle auszudrücken, zuvorderst das Gefühl der Zuneigung und der Liebe. Und auch um solche Gefühle beim angehimmelten Gegenüber hervorzulocken. Ein Titel heißt denn auch ,,Deshielo del Corazón”, also ,,das Herz erweichen, auftauen” – eine perfekt erblühte rote Rose vor einem abstrakten, fast kristallinen blauen Hintergrund ist dargestellt.
Ein anderes Bild heißt in einer Steigerung einfach nur ,,Amor Amor”, die Dopplung, die Potenz der Liebe, wenn sie so wollen, eine Tulpenblüte steht vor unseren Augen, wir können auf ihren Blütenblattern den farbigen Verlaufen folgen. uns verlieren.
,,Nuestra Casa”, diese roten Lilien, also ,,Unser Haus” – eine Galeristin sagte einmal zu Filiberto Montesinos über die Wirkung seiner Bilder, ,,this feels like home”, das fühlt sich an wie zuhause, wie zuhause ankommen. Eine andere Blume fasst den Moment des abendlichen sich Ins-Bett-Werfens, des sich in den Schlaf, in den Schoss der Nacht Fallenlassens, das ,,Betttuch” ist blaues Laken, das bereits Fallen wirft.
Jede Blume ist für den Künstler etwas Einzigartiges, Perfektes auch. Und im künstlerischen Prozess fühlt er sich ein in die Haltung der Pflanze, die er symbolisch für ein menschliches Denken und Fühlen nimmt. Eine Seerose etwa, gerade geöffnet, noch im Morgentau, steht für die innere ,,Kraft des Schweigens”. Weißblauviolett schillernde Lilien sind ,,Die Quelle des eigenen Glücks”, sie bewegen sich vor einem fließenden Hintergrund.
Ein rosa Blütenmeer, surreal. fast abstrakt ins Ornamentale gleitend, ohne die Naturhaftigkeit der Form aufzugeben, zeigt den “neuen Weg”, das Gefühl eines Neuanfangs, eines neuen Lebensabschnitts, wenn Sie wollen. Ein anderes entfuhrt uns in den ,,Ozean der Freiheit”. Ein drittes führt uns vor, wie Grenzen überwunden werden, eine Pflanze einen Rahmen sprengt, ein viertes Bild. wie Liebe sich entfaltet, ein fünftes, wie es ist. wenn ein Gedicht beginnt, die Poesie den Raum betritt. Und eines, das mich besonders angesprochen hat, trägt den Titel ,,Honestamente Perdonando”. Wie ist es denn, wenn man ernsthaft vergibt, wenn man sich und den Hass auf den anderen frei gibt? Filiberto Montesinos fasst dieses tiefe, befreiende Gefühl in ein sich nach oben auflosendes Blütenmeer, von der Dichte und der Schwere in die Leichtigkeit
Doch im Raum Nr. 1 der Ausstellung, werden Sie vielleicht denken, haben wir einen anderen Künstler gesehen. Einen Künstler, der sich der Schwarzweißmalerei verschrieben hat, auf die Farbe verzichtet, der sich dem Porträt zuwendet, uns einen tristen Straßenzug zeigt. Wie kam er dazu?
Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, etwas Biographisches anzufügen, bevor ich die soeben gestellte Frage beantworte.
Filiberto Montesinos wurde 1972 in Chiapas. dem südlichsten Bundesstaat Mexikos geboren, und interessierte sich von Kindheit an für Malerei und Kunst. Das BWL-Studium war der Familie geschuldet, nach dem Abschluss folgte das Kunststudium an der “Chiapas State University of Siences and Art” und an der ,,Free State University of Puebla”, Mexiko. Die mexikanische Herkunft, die Tradition der Malerei der “Muralisten”, klingt in seinen Werken an. nicht nur in den lokalen Motiven wie der Prozession der Jugendlichen beim ,,Lichterfest in meinem Dorf”.
Nach einem schwierigen Anfang folgte eine beachtliche Künstlerkarriere mit Ausstellungen in Mexiko. Los Angeles, New York. Madrid. Antwerpen, Brüssel. München und Wien und jetzt eben auch Stuttgart. wo er zur Zeit – neben einem Domizil in Madrid – lebt, nachdem er lange Jahre in den USA verbrachte.
Der Künstler engagiert sich mit seiner Arbeit auch für krebskranke Kinder und erhielt 2003 von der amerikanischen Stiftung ,,Eltern gegen den Krebs” die Auszeichnung ,,Bester Nachwuchskünstler des Jahres”. die Schirmherrschaft halle damals der amerikanische Vizepräsident Dick Cheney. Seit 2005 gestaltet er in Spanien auch Bühnenbilder für Operninszenierungen.
Im Jahre 2001 also. und ich komme nun zur Beantwortung der Frage, begann er in seinem damaligen Wochenendhaus in Palm Springs eine Serie unter dem Titel ,,Schwarz und Weiß“.
Inspiration war der Glanz und die geheimnisvolle Atmosphäre, die die Hollywood-Stars der Goldenen Zeit, der 30er und 40er Jahre, umgab. und die durch künstlerisch gestaltete Schwarzweißfotografien und natürlich durch die Schwarzweißfilme geprägt ist. Diese Hallung interpretierte er in seinen Bildern, veränderte auch im Detail, etwa wenn er ,,La Doña”, die berühmte mexikanische Filmschauspielerin María Felix (1914-2002), die neben Dolores del Rio als “schönstes Gesicht des mexikanischen Films” galt, ohne ihren Schmuck porträtiert. was auf den historischen Fotos selten zu finden ist. Eine andere Porträtierte ist die mexikanische Malerin Frida Kahlo (1907-1954), dargestellt mit einem Korb und in einem traditionellen Gewand ais junge Frau, noch vor ihrem Unfall. der ihr Leben sehr beeinträchtigte. Mit großem Ernst blickt sie auf uns.
Die famose Jazzsängerin Billy Holiday (1915-1959) ist bei ihrem letzten Konzert nur noch ein Schatten ihrer selbst, gezeichnet vom Drogen- und Alkoholkonsum, der an ihrem Körper zehrte und auch ihre Karriere ruinierte. Das Glas in der Hand, der zusammengesunkene Oberkörper, der nach vorne geneigte Kopf sprechen Bände, und doch das Bild selbst ist wie die anderen Porträts, zu denen auch der US-amerikanische Kornettist und Vertreter des New Orleans Jazz Bunk Johnson (1879 oder 1889-1949) gehört, von großer Würde und Menschlichkeit.
Ziel der Kunst von Filiberto Montesinos ist es, ein ausdrucksstarkes Bild mit Seele und Körper zu schaffen. Er bedient sich dabei einer bestimmten Technik. Und zwar sowohl bei der Serie ,,Schwarz und Weiß” ais auch bei den Blumenbildern. Fast immer behandelt er die Leinwand mit einer Schicht aus Ölfarbe und Sand vor. Der Sand für die ,,Schwarz und Weiß“-Serie kam aus der Wüste von Palm Springs und symbolisiert die Verbindung zwischen Mensch, Erde und Kunst. Für die neueren, in Deutschland entstandenen Bilder fand weicherer Flusssand, zumeist vom Rheinufer, Verwendung.
Wenn sie naher an die Bilder treten, werden sie die raue Struktur des Malgrundes bemerken, aber auch die Unterschiede in der Körnung. Unter den kräftigen Farben der Oberflache lebt so etwas von dem Geist und der Energie der Erde weiter. ein Geist, der Menschen, Erde und Kunst an der ,,Geburtsstätte” jedes Bildes verbindet. Sand besteht aus so vielen, von Wind und Wetter zermahlenen Stoffen, aus Muscheln etwa, aus Gestein, aus Knochen. aus allem. was auf der Erde zerfällt, nachdem es einst entstanden, gewachsen ist.
Hier auf diesen Ölbildern geht der Kreislauf weiter. Und es ist nicht einfach die Farbe mit dem Sand zu verbinden, wie Sie sich denken können. Diese spezielle Maltechnik hat auch einen enorm hohen Verbrauch an Pinseln zur Folge, weil nach jedem Bild die Pinsel gewechselt werden müssen, was jedem einzelnen Bild noch einen individuelleren Charakter gibt. ais es das Auge erfassen mag.
Lassen Sie mich noch auf ein Bild eingehen, das auch im ersten Raum hängt. Jenes eher triste Bild eines Straßenzuges, irgendwo in Mexiko, mit einfachen. zweistockigen Häusern, die Mülltonnen stehen vor den Hauseingängen, die Strommasten enden in Kreuzen, es hat gerade geregnet. Gestern stand ich vor dem Bild und die Sonne fiel schräg darauf, es gab plötzlich einen silbrigen, kristallenen Glanz. der Sand im Untergrund meldete sich.
Der Titel lautet nicht ,,bonjour tristesse” oder ,,melancholia”, nein, ich hatte mich nicht verlesen: “Esperanza”. Hoffnung. Im Gespräch mit Filiberto Montesinos erzählte er mir von seinem Vater, der seinem Sohn einst, ais dieser sich über den Regen beschwerte, sagte: „Regen bedeutet Hoffnung”. der Regen lässt die Erde grünen, die Sonne wird danach wieder scheinen, das Leben bekommt neue Kraft. Und nun sah ich mir das Bild noch einmal an.
Die Schönheit des Lebens. das ,,Prinzip Hoffnung”, die Natur, die bildhaft für menschliche Gefühle und Haltungen steht, Filiberto Montesinos vermag dies alles in seiner Kunst uns, den Betrachtern, nahezubringen.
Olaf Schulze
Stuttgart-Bad Cannstatt, den 23. Januar 2009